Kreativ und vernetzt: Wir denken im Ensemble

Seit Oktober 2019 forschen sechs junge Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. Sie absolvieren das vierjährige interuniversitäre Doktoratskolleg „Die Künste und ihre öffentliche Wirkung: Dynamiken des Wandels“. Das Programm verbindet künstlerisches Schaffen mit wissenschaftlichem Arbeiten und lebt von der Diversität der Kollegiat*innen. Was sie vereint, inspiriert und trennt haben sie uns gemeinsam mit der Kolleg-Leitung bei einem Online-Treffen verraten.

An der Interuniversitären Einrichtung Wissenschaft und Kunst loten sechs Forscher*innen Möglichkeiten, Grenzen und Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst aus. Die Doktorand*innen sind sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch tätig. Ihr Labor ist die Interuniversitäre Einrichtung der Universität Salzburg und der Universität Mozarteum, ihr Forschungsfeld ist die Gesellschaft. In ihren Dissertationen befassen sie sich mit Phänomenen, Konzepten und Prozessen gesellschaftlicher Veränderungen und ihrer Wechselwirkung mit den Künsten und ihren Öffentlichkeiten.

Doktoratskolleg

Doktoratskolleg Wissenschaft & Kunst

Gemeinsam forscht man weniger allein

„Uns alle verbindet eine Ethik der Zugewandtheit. Wir denken im Ensemble und sehen nicht nur das Singuläre“, erklärt Nicole Haitzinger, die wissenschaftliche Leiterin des Kollegs. Dadurch unterscheidet sich das Kolleg von vielen anderen Ausbildungen. „Egal ob im Theater, in der Bildenden Kunst oder der Pädagogik – in der Praxis geht es immer darum, mit anderen zusammenzuarbeiten. Doch in der Ausbildung steht oft nur das Singuläre im Vordergrund. Darum ist uns das fächerübergreifende Miteinander so wichtig“, so die Leiterin.

Die Studierenden sind für vier Jahre finanziell abgesichert und müssen sich nicht um administrative Dinge kümmern, sondern können sich voll und ganz ihrer Forschung widmen. „Und noch was anderes macht dieses Kolleg außergewöhnlich“, betont die wissenschaftliche Mitarbeiterin, Anita Moser: „Dieses Studienangebot von der Uni Salzburg und der Uni Mozarteum, also zwischen einer Universität und einer Kunstuniversität, ist österreichweit einzigartig.“

Bereicherung durch Vielfalt

Die bisherigen Absolvent*innen haben ein kultur- oder gesellschaftswissenschaftliches Studium abgeschlossen oder kommen von einer Kunstuniversität. Prinzipiell wären aber alle Fachrichtungen beim Doktoratskolleg willkommen. Nicole Haitzinger sieht vielfältige Erweiterungsmöglichkeiten: „Auch mit Naturwissenschaften oder der Theologie gäbe es spannende Anknüpfungspunkte. Einzige Bedingung ist ein kunstbezogenes Dissertationsprojekt. Im Kolleg geht es um Vielschichtigkeit; darum, Lokales mit Globalem zu verbinden.“

Die unterschiedlichen Backgrounds der anderen nehmen die Doktorand*innen als große Bereicherung wahr. So ergeben sich vielseitige Konstellationen und Ideen. Gemeinsam wird vernetztes Denken möglich. Die Gruppe der Studierenden und das Leitungsteam pflegen einen sehr freundschaftlichen und kollegialen Umgang ohne Hierarchien. Das Verbindende ist die Auseinandersetzung mit Dringlichkeitsfragen und die Begegnung auf Augenhöhe.

Wissenschaft und Kunst

Im KunstQuartier in der Bergstraße forschen die Dissertant*innen an der Interuniversitären Einrichtung Wissenschaft und Kunst.

Teamorientiertes Forschen und Arbeiten

„Unsere Gruppe hat sich nicht gesucht, aber dennoch gefunden“, schwärmt die Dissertantin Martina Fladerer von ihren Kolleg*innen. Was die Gruppe, die sich aus sechs Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammensetzt, verbindet, ist der Wunsch nach Veränderung in starren Strukturen. „Es geht darum, neue Experimentierfelder und Möglichkeiten mit neuen Methoden zu eröffnen“, sagt Raffael Hiden. Die Kolleg-Leiterinnen sehen in allen Projekten eine Nähe zum Performativen und eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen oder Veränderungen.

Die Corona-Pandemie hat auch die Zusammenarbeit zwischen den Doktorand*innen in den Online-Raum verlegt. Normalerweise sehen sie sich regelmäßig und entwickeln gemeinsam Projekte wie die Ring-Vorlesung „Übergänge, Transformationen, Zwischenräume: Netzwerke zwischen Wissenschaften und Künsten“.

Dynamischer Wandel als Leitgedanke

Das Thema des aktuellen Jahrgangs lautet „Die Künste und ihre öffentliche Wirkung: Dynamiken des Wandels“. Für jeden Jahrgang wird ein neues gewählt, das gesellschaftspolitische und soziokulturelle Themen aufgreifen und umfassen soll. Das Thema wurde 2019 eigentlich abstrakt konzipiert, doch durch das Corona-Virus zeigte sich der Wandel in der Gesellschaft sehr praktisch. Auch abseits der Pandemie legt die Kolleg-Leitung den Fokus auf den Wandel der europäischen Zivilgesellschaft und Themen wie Brexit, Klimakrise, politische Strömungen. „Wir stellen uns immer die Frage, welche Stellung nehmen die Künste dazu ein, wie reflektieren das die Künste und die Wissenschaft?“, erläutert das Leitungsteam.

Wo sich Wissenschaft und Kunst treffen

Es ist schwierig aufzuzeigen, wo sich Wissenschaft und Kunst überschneiden oder wie sie sich voneinander unterscheiden. „In der Wissenschaft steht das Reproduzierende im Vordergrund, ein Versuch im Labor kann zum Beispiel mehrmals wiederholt werden mit dem gleichen Resultat, das ist bei den Künsten nicht möglich. Nicht das objektive Wissen, sondern das subjektive steht bei uns im Zentrum“, versucht Martina Fladerer eine Definition. Für Nicole Haitzinger ist die Positionierung in einer Wissenskultur auch Aufgabe der IE Wissenschaft und Kunst. „Heute geht es darum, Wissenschaft und Kunst nachhaltig zu verflechten und Positionen zu erarbeiten“, machen die Leiterinnen deutlich.

Dies gelingt den Doktorand*innen, indem sie durch wechselseitiges Beobachten und Durchdringen von Wissenschaft und Kunst für ihre Forschungsprojekte neue Impulse erzeugen.

(Zum Kennenlernen der Doktorand*innen einfach mit den grauen Pfeilen rechts weiter klicken.)

Die Doktorand*innen

Martina Fladerer

Als begeisterte Klarinettistin machte Martina Fladerer eine Entdeckung: Die meisten Erwachsenen hören Musik, machen aber keine Musik (mehr). Dem wollte sie nachgehen. In ihrer Recherche stolperte sie über den Begriff Musicking, der Musik als Performance meint und von Musiker*innen bis hin zu Stagehands alle inkludiert. Studiert hat Martina Fladerer Kultur und Wirtschaft mit den Fächern Germanistik und BWL an der Universität Mannheim und Klarinette an der Hochschule für Musik Nürnberg. Sie wechselte an die Uni Mozarteum, wo sie auch auf das Angebot der Interuniversitären Einrichtung aufmerksam geworden ist. Neben ihrem Job als Instrumentallehrkraft für Klarinette und in der Theaterpädagogik des Landestheaters Salzburg, arbeitet sie als freischaffende Musikerin und Musikvermittlerin.

Dissertationsthema: Sound(ing) Surprises! Räume partizipativen Musizierens von Erwachsenen für Erwachsene

Raffael Hiden

Raffael Hiden ist Grazer und hat dort Soziologie und Geschichte studiert. Später startete er einen PhD an der Uni Innsbruck, wechselte dann an das Doktoratskolleg nach Salzburg. Hier schätzt er vor allem das kollaborative Arbeiten mit seinen Kolleg*innen. Als Soziologe ist er daran interessiert, das Zusammenleben der Menschen zu erforschen. Für seine Doktorarbeit interessiert ihn besonders das Gegenwartstheater. Ein Theaterbesuch ist für ihn, wie ein soziologisches Buch zu lesen. Bei Theaterhospitanzen und Verlagspraktika sammelte er Arbeitserfahrungen im Kulturbereich, seit 2019 ist er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift mischen.

Dissertationsthema: Werden von Lebensformen. Zum Gefüge einer ästhetischen Praxeologie

Gwendolin Lehnerer

Gwendolin Lehnerer, ansässig in Berlin, studierte Theater-, Kulturwissenschaft und Kuration in München und Salzburg. Als freie Kuratorin und Dramaturgin verwebt Gwendolin Praxis mit wissenschaftlicher Forschung. Ihr Dissertationsthema beschäftigt sich mit Kuratorischer Forschung an der Schnittstelle zu Wissenschaft und Kunst.

Dissertationsthema: Kuratorische Forschung. Neo-barocke Forschungsweisen aus dem Dispositiv des Theaters und der Ausstellung

Ielizaveta Olliinyk

Ielizaveta Olliinyk hat Journalismus und Theaterwissenschaft studiert. Nach ihrem Studium in Mainz hat sie erste Erfahrungen in der Theaterpädagogik gesammelt. Sie hospitierte u.a. an der Oper Köln, im Ballhaus Ost, Maxim Gorki Theater und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. Nach ihrer Rückkehr in die Ukraine realisierte sie dort einige Dokumentartheaterprojekte, u.a. mit Binnenflüchtlingen, einem Soldaten und Schüler*innen. Sie ist auch als freie Regisseurin für Kinoprojekte tätig. Ein Freund schickte ihr Links mit Doktoratsprogrammen im deutschsprachigen Raum. So wurde sie auf das Kolleg in Salzburg aufmerksam. In ihrem Forschungsprojekt geht sie der Frage nach, warum biografische Narrative in Umbruchzeiten an Popularität im Theater gewinnen und welche Theaterformate dadurch entstehen.

Dissertationsthema: Dokumentarisches Theater und gesellschaftliche Transformation. Zeitgenössisches Theater in der Ukraine

Ivana Pilić

Die Forschung von Ivana Pilić soll zur Systematisierung diskriminierungskritischer Kunstpraxen beitragen. Dabei werden Ausschlüsse im Kunst- und Kulturbetrieb besprochen. Der Fokus liegt danach auf künstlerischen Praxen, die die Einbeziehung „marginalisierten“ Akteur*innen selbst vorantreibt. Schließlich werden Strategien diskriminierungskritischer Kunstpraxen vorgestellt, die konzeptuell an einem radikal inklusiven „Wir“ arbeiten und dieses verbildlichen.

Dissertationsthema: Transformance – Untersuchung diskriminierungssensibler Kunstpraxen

Anna Stadler

Die Salzburgerin Anna Stadler hat an der Uni Salzburg Germanistik, Literatur- und Kulturwissenschaft und an der Uni Mozarteum Bildhauerei/Bildnerische Erziehung studiert. Die zwei Hochschulen sind also schon lange ihre Begleiterinnen, wenn auch immer getrennt voneinander. Jetzt im Doktoratskolleg kann sie die beiden endlich vereinen. Künstlerisch ist sie im Bereich Plastik, Installation und Aktion tätig und veröffentlicht Texte in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sie ist Mitherausgeberin von archipel – Zeitschrift für Kunst, Theorie & Literatur. Sie widmet sich der paratextuellen Fortschreibung von Kunst und der polyphonen Öffnung des Werkbegriffs.

Dissertationsthema: Fortschreibung des Unabgeschlossenen. Zum Verhältnis von situationsspezifischen Kunstformen und Narrativen der Transition

Über das Doktoratskolleg

„Die Künste und ihre öffentliche Wirkung: Dynamiken des Wandels“ ist das Rahmenthema des bereits dritten Durchgangs des 2010 gegründeten Doktoratskollegs an der Interuniversitären Einrichtung Wissenschaft und Kunst. Das Programm wird von der Universität Mozarteum, der Paris Lodron Universität Salzburg und dem Land Salzburg gemeinsam getragen. Noch bis 2023 arbeiten die Doktorand*innen an ihren Projekten. Die Zulassung zum Studium erfolgt über eine öffentliche Ausschreibung. Die Bewerber*innen müssen ein fachlich in Frage kommendes Diplom- oder Masterstudium an einer Universität oder Fachhochschule abgeschlossen haben. Da das Doktoratskolleg Wert auf Interdisziplinarität legt, sind alle Fachrichtungen willkommen, das Dissertationsprojekt soll sich aber mit einem Thema an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst auseinandersetzen. Bewerber*innen sollten ein Verständnis für beide Felder mitbringen.

Im Rahmen ihres Studiums organisieren die Forscher*innen gemeinsame Projekte und realisieren eigene Aktivitäten.

Leitungsteam

Die wissenschaftliche Leitung des Kollegs hat Univ. Prof. Dr. Nicole Haitzinger (Fachbereich Musik- und Tanzwissenschaft, Paris-Lodron-Universität Salzburg) inne. Wissenschaftlicher Co-Leiter ist Univ. Prof. Dr. Bartolo Musil (Department Schauspiel/Regie, Thomas Bernhard Institut, Universität Mozarteum Salzburg). Dr. Anita Moser (Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion, Interuniversitäre Einrichtung Wissenschaft und Kunst) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kollegs. Als Referentin steht Mag. Roswitha Gabriel den Kollegiat*innen in allen organisatorischen Fragen zur Seite. Tatkräftig unterstützt wird das Kolleg von der Studienassistentin Miriam Lisa Ljubijankic.