Dass sich das Archiv der Erzdiözese Salzburg als Speicher versteht, kann im doppelten Sinne gesehen werden. Schließlich befindet sich das Archiv im ehemaligen Kornspeicher des Domkapitels aus dem 17. Jahrhundert. Heute ist das Kardinal-Schwarzenberg-Haus vor allem ein Depot für Kultur und Wissen.

Wenn das Archiv der altehrwürdigen Erzabtei St. Peter seine Tore öffnet, dann kommen Besucher*innen schnell ins Staunen. Immerhin ist St. Peter das älteste Kloster im deutschsprachigen Raum. Seit mehr als 1.300 Jahren leben und wirken im Herzen der Salzburger Altstadt die Benediktinermönche.

„Hast du die Leidenschaft?“ Diese Frage stellt Yener Bayramoglu allen, die eine wissenschaftliche Karriere einschlagen wollen. Es braucht Geduld, Durchhaltevermögen und eine große Passion, denn eine wissenschaftliche Laufbahn kann ein langwieriger Weg sein. Dennoch kann sich Bayramoglu keinen anderen vorstellen. Der junge Kommunikationswissenschaftler aus Berlin mit türkischen Wurzeln ist der aktuelle Scientist in Residence in der Wissensstadt Salzburg.

Dass Yener Bayramoglu in die Forschung gegangen ist, ist für ihn ganz selbstverständlich. „Ich weiß nicht, was ich sonst gemacht hätte“, gesteht der Kommunikationswissenschaftler, „Ich genieße es zu lesen, zu recherchieren und zu forschen, ich liebe es mich intensiv mit einer Fragestellung auseinanderzusetzen. Wenn ich an einem Thema arbeite, dann fühlt es sich für mich auch nicht wie Arbeit an.“

Vor neun Jahren ist Yener Bayramoglu nach seinem Bachelor- und Masterstudium in Istanbul nach Berlin gekommen. Deutsch hat er bereits in der Schule gelernt. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt er sich intensiv mit Gender Studies, im Besonderen mit Queer Studies. Dabei wird untersucht wie Identitäten durch soziale und kulturelle Prozesse konstruiert werden und welche Effekte dadurch ausgelöst werden. „Wissenschaft ist immer auch politisch“, sagt der Forscher, der sich auch mit queerem Aktionismus auseinandersetzt und hinterfragt, wie dieser in autoritären Zeiten existieren kann.

Queere Migration als persönliches Forschungsinteresse

Inspiriert von seinem eigenen Umfeld widmet Bayramoglu sich in seiner Forschung auch queeren Migrant*innen. Denn: „LSBTIQ+[1] kennen nicht nur Homophobie, sie werden auch mit Rassismus konfrontiert. Dieser Aspekt wird in der Forschung bisher noch sehr wenig beachtet“. Generell findet er, dass Queer-Forschung in vielen Disziplinen zu wenig Beachtung findet.

Durch die Tatsache, dass Bayramoglu Türke ist, erhält seine Arbeit zusätzliche Brisanz. In seinem Heimatland wäre eine Forschung, wie er sie aktuell in Deutschland macht, nicht möglich. „Das Thema würde nicht ernst genommen werden und es würde daher auch keine Finanzierung zustande kommen“, erzählt er.

Queere (Un-)Sichtbarkeiten

Für seine Dissertation hat er die Repräsentationen von queeren Personen in türkischen und deutschen Boulevardmedien verglichen. Dabei hat er festgestellt, dass es keine großen Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt. „Der Boulevard hat seit jeher ein großes Interesse an allem Normabweichenden, durch die Präsentation von queeren Personen in den Medien entsteht aber auch wieder eine gewisse Normalisierung“, berichtet Bayramoglu von seinen Ergebnissen, die auch als Buch erschienen sind.

Im Februar hat ihn seine Forschungsreise nach Salzburg geführt, wo er sich mit den Gender-Expert*innen am gendup der Uni Salzburg austauscht. Yener Bayramoglu verbringt viel Zeit in der Bibliothek im Unipark, wo er an seinem nächsten Vortrag arbeitet, den er demnächst in New York halten wird. Auch wegen besonderer Gelegenheiten wie dieser, liebt er seine Arbeit.

 

[1] Unter der Abkürzung LSBTIQ+ werden lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen zusammengefasst. Der Stern * am Ende soll darauf hinweisen, dass manche Menschen ihre Geschlechtsidentität nicht ausschließlich auf einen Begriff festlegen.

 

 

Drei Fragen an Yener Bayramoglu

An der Alice Salomon Hochschule arbeiten Sie am Projekt CILIA-LGBTIQ+. Was wird dabei untersucht?

In vier Regionen Europas – Schottland, England, Deutschland und Portugal – werden Ungleichheitserfahrungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queer untersucht. Ziel ist es, zu erforschen, wie Lebensverläufe von LSBTIQ+ durch Diskriminierung beeinflusst werden. Es werden je zwanzig Interviews mit Jugendlichen, Menschen im Erwachsenenalter und älteren Personen geführt. Die Ergebnisse werden zeigen, welche Auswirkungen Diskriminierung auf die unterschiedlichen Lebensphasen hat. Außerdem wird man sehen, wie Diskriminierung Biographien und Entscheidungen einer Person beeinflusst und welche Rolle der Zeitpunkt im Leben spielt. Besonders spannend ist das im Regionenvergleich.

Wie haben Sie vom Gender Studies-Stipendium in Salzburg erfahren?

Ich wurde eingeladen, mich auf das Stipendium zu bewerben und habe sofort die Chance ergriffen. Ich finde es super, mich hier zu vernetzen und mit anderen Kolleg*innen auszutauschen. Die Residency könnte auch länger dauern, ich fühle mich sehr wohl hier.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem gendup an der Uni Salzburg?

Ich durfte bereits am 5. März einen Vortrag im Rahmen des Gender Forschungstags halten. Das gendup hilft mir, in Salzburg neue Kontakte zu knüpfen. Ich habe bereits viele Kolleg*innen vom Fachbereich Kommunikationswissenschaft kennengelernt, woraus sich wieder neue Kooperationen ergeben. Im November werde ich wieder nach Salzburg kommen, ich bin zu einem Vortrag eingeladen.

 

Wissensstadt Salzburg SIR

Yener Bayramoglu (c) Wissensstadt Salzburg/Kraxberger

Zur Person

Yener Bayramoglu wurde 1984 in Istanbul geboren, wo er Medien- und Kommunikationswissenschaft studierte. Er promovierte an der Freien Universität Berlin, heute ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Alice Salomon Hochschule. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen queere Medienforschung, Cultural Studies, Migration, Temporalitäten und die Geschichte der Sexualität in der Türkei und Deutschland. Bayramoglu ist Autor des Buchs „Queere (Un-)Sichtbarkeiten“. Demnächst fliegt er nach New York, wo er bei der Konferenz „Sexuality and Borders“ einen Vortrag über die türkische Gesundheitspolitik während der Aidskrise der 1980er Jahre hält.