Ein Dinosaurier fernab von papierenen Welten

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Tom Schulz ist Autor, Übersetzer, unterrichtet und realisiert Projekte im Literaturbetrieb. Aktuell ist der gebürtige Berliner zu Gast als Writer in Residence in der Wissensstadt Salzburg. In seinen Gedichten widmet sich der Lyriker zeitgenössischen Themen und setzt Impulse für eine mutigere Welt. Warum er sich als schreibenden Dinosaurier sieht, wie ihn die Arbeit in der Baubranche geprägt hat und wie er seinen Aufenthalt in Salzburg verbringt, erzählt er uns im schattigen Gastgarten.

Nachmittags, wenn die Sonne in die kleine Wohnung Tobias lacht, ist es ihm zu heiß zum Arbeiten. Dann spaziert Tom Schulz durch Salzburg und entdeckt die Stadt. Vormittags oder abends arbeitet er an kleinen Artikeln, verfasst Texte für Zeitschriften und schreibt Gedichte. Salzburg kennt der Autor bereits, aber dies ist sein bisher längster Aufenthalt in der Wissensstadt.

Als Schriftsteller verbrachte Schulz bereits zwölf temporäre Auslandsaufenthalte, sogenannte Residencies. Vieles konnte er daraus mitnehmen. Als Stadtmensch schätzte er vor allem die Aufenthalte im Süd-Westdeutschen Raum, wo er die Stille und Natur genoss und sich vom Vogelgezwitscher wecken ließ. Doch am einprägsamsten seien die Aufenthalte in Ausland – in Krakau und in Venedig – gewesen, erzählt der Autor und schwärmt vom Austausch mit anderen Künstler:innen. „Wo anders zu leben ist immer eine Bereicherung. Aufenthalte wie diese sind auch immer eine Quelle der Inspiration, weil man sich eingehend mit der Geschichte eines Landes und der dortigen Gesellschaft beschäftigen kann“, berichtet Schulz über seine Erfahrungen.

In seinen Gedichten setzt sich Tom Schulz mit gesellschaftlich aktuellen und politischen Themen auseinander. „Jede:r hat natürlich einen eigenen Stil, verfolgt eine eigene Richtung, aber manche Themen sind einfach naheliegend und drängen sich auf. Ich greife Fragen auf, die sich zuspitzen, auch gerade weil sie unbequem sind“, erklärt Schulz, der sich in seinen Werken Themen wie der Wiedervereinigung Deutschlands, der Shoa, dem steigenden Rechtsruck oder dem vorherrschenden Antisemitismus widmet.

Emotionale Anstöße der Lyrik

Mit seinen Texten will Schulz eine Message transportieren, auch wenn diese meist subversiv ist. „Ich schreibe darüber, was mich auch als Leser an Literatur interessiert. Mich sprechen Widersprüche an, oder etwas, was meine eigene Biografie berührt oder auch Dinge wie Natur“, so Schulz über seine Arbeiten. Literatur könne Menschen berühren, ist der Autor überzeugt, besser als jedes Fernsehbild, löse Kunst auch Emotionalität aus.

Auf die Frage, was er bei seinen Leser:innen auslösen möchte, bleibt Schulz Realist. Er glaube nicht daran, dass seine Gedichte echte Verhaltensänderungen bewirken. „Literatur kann Strukturen nicht verändern, aber Leser:innen anstupsen“, so der Berliner.

„Schreiben ist immer auch Arbeit, es ist ein innerer Prozess“, stellt Schulz klar, gerade in der Kunstform Lyrik gehe es um sprachliche Bilder, Metaphern und Ausdruck. Doch manche Situationen beflügeln ihn nahezu und versetzen ihn in einen regelrechten Flow. Dann fällt das Schreiben leicht.

Ein Gedichte-schreibender Dinosaurier

Dass andere Genres wie Romane am deutschsprachigen Literaturmarkt eine größere Aufmerksamkeit als Lyrik bekommen, sieht Schulz ganz nüchtern. „Wir, die Gedichte schreiben, sind Dinosaurier, das kommt nicht auf TikTok“, lacht er. Vielmehr gehe es darum, ein Angebot zu machen, um das kulturelle Leben nicht noch weiter auszudünnen. Sich mit Literatur, insbesondere Lyrik, auseinanderzusetzen, aktiviert und fördert auch Wissen und Bildung. „Heute gibt es ja viele Möglichkeiten, Literatur zu genießen. Egal, ob mit E-Reader in der Badewanne oder mit Hörbuch im Auto – Hauptsache nicht immer nur RTL“, urteilt der Autor.

Schulz ist bewusst, dass Lyrik mit Bestseller-Romanen und digitalen Plattformen nicht mithalten kann, aber dennoch erreicht sie eine gewisse Anzahl an Leser:innen. Zu welchen Gedichten ihn sein Writer-in-Residence-Aufenthalt beflügelt, lesen wir vielleicht demnächst in der Literaturzeitschrift SALZ, in der bereits einige Texte von Tom Schulz erschienen sind.

 

Vier Fragen an Tom Schulz

Wie kommt man von der Baubranche zur Literatur?

Nach der Schule war ich lange Zeit in einem kaufmännischen Beruf in der Baubranche. Ich war im Einkauf und in der Distribution in einem großen Unternehmen und weiß daher, wie man Kanäle und Straßen baut oder Parkplätze asphaltiert.

Geschrieben habe ich immer schon, aber die Zeit dafür war meist zu knapp. 2002 – als der negative Stress in der Arbeit zu groß wurde – habe ich es gewagt, mich intensiver dem Schreiben zu widmen. Die neue Freiheit, mich nicht an Bürozeiten zu halten, habe ich sehr genossen. Es braucht aber auch viel Arbeit, sich zu etablieren. Man muss am literarischen Markt präsent sein, sich vernetzen und Kontakte pflegen.

Grundsätzlich weiß ich aber diese Erfahrungen sehr zu schätzen. Die „papierenen Welten“ führen zu einer gewissen Erlebnisarmut, in der man alles nur aus der Theorie kennt. Wenn man schreibt, muss man mehr kennen als nur die Uni oder die Schule. Als Schüler in der DDR habe ich auch in einem Glühlampenwerk am Fließband gearbeitet. Diese Zeit und die Erfahrungen haben mich natürlich auch geprägt.

Sie unterrichten auch Schreiben an der Universität und an Schulen. Was geben Sie Ihren Schüler:innen mit?

An der Universität Köln unterrichte ich Kreatives Schreiben und ich bin auch immer wieder in Schulen eingeladen, um mit Jugendlichen zu arbeiten. Der Fokus liegt dabei auf poetischen Texten. Für jeden Kurs lege ich Schwerpunkte fest, wie zum Beispiel Traumsprachen oder Gedichte und Klimawandel. Es ist mir wichtig, dass das Thema die Teilnehmer:innen bewegt und gemeinsam nähern wir uns der Sache aus literarischer Sicht.

Daraus entstehen dann Schreibübungen wie poetische Wetterstationen oder ein Akrostichon mit gefährdeten Tierarten. Mir geht es darum, Leute zu motivieren, sich poetisch auszudrücken. Manche sind auch richtig gut, bei anderen klappt es weniger – das ist für mich aber auch kein Problem.

Sie übersetzen auch Gedichte aus dem Englischen und Spanischen. Wie gehen Sie dabei vor?

Das Übersetzen von Lyrik in eine andere Sprache ist eine heikle Angelegenheit. Es braucht eine Person, die klassisch Wort für Wort übersetzt. Zusätzlich ist es meine Aufgabe, den Text in die Form der Lyrik zu bringen. Nicht selten ist es notwendig, sich vom Original zu lösen. Es kann schon passieren, dass durch die Übersetzung ein Reim verloren geht. Gedichte in andere Sprachen zu übertragen ist eine sehr aufwändige Tätigkeit. Finanziell lohnt es sich nur, wenn eine Beauftragung dahinter steht.

Welches Buch können Sie uns empfehlen?

Die wilden Detektive von Roberto Bolaño. Der chilenische Schriftsteller ist einer der größten Erzähler der letzten zwanzig, fünfundzwanzig Jahre. Es ist eine fantastische Geschichte aus Mexiko – welches im Übrigen auch ein tolles Land ist.

 

Zur Person

SIR - Tom Schulz

Der Berliner Autor Tom Schulz ist im Juni und Juli zu Gast in Salzburg.

Tom Schulz wurde in Ost-Berlin geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in der DDR. Nach dem Mauerfall – er war damals 19 Jahre alt – genoss er das befreiende Lebensgefühl „anything goes“ in Berlin. Heute lebt der Autor in Berlin und in den Marken (nahe der Adria) und ist für Projekte und Auftritte im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. Sture „Betonköpfe“ kann er nicht leiden. Er liebt es aber zu kochen und holt sich hier in Salzburg regionale Produkte vom Markt. Tom Schulz ist nicht nur Experte für Poesie, sondern beherrscht auch erstaunlich viele österreichische Ausdrücke, die er oftmals sehr liebenswert findet. So zum Beispiel Vogerlsalat. Auch Mozartkugeln isst er gerne, noch lieber ist ihm aber die Musik. Seine Lebensgefährtin und den Hund in Italien vermisst der Autor bereits. Zweieinhalb Wochen dauert es noch bis zum Wiedersehen. In der Zwischenzeit flaniert er durch Salzburg, schreibt und sucht ein Lokal, das ein richtig großes Schnitzel bietet. Er wird bestimmt fündig werden.