Über die kleinen Freuden einer Detektivin

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Vier Frauen und ihre Briefwechsel, so lässt sich das Forschungsvorhaben von Barbara Agnese in Salzburg zusammenfassen. Aktuell arbeitet die Scientist in Residence im Literaturarchiv Salzburg an Ingeborg Bachmann und ihrer Korrespondenz mit drei Dichterinnen für die Salzburger Bachmann Edition. Wie sie den verlängerten Aufenthalt in Salzburg aufgrund des Lockdowns verbracht hat, erzählt die leidenschaftliche Europäerin bei Croissant und Kaffee.

Über die Philosophie sei sie zur Literatur gekommen, verrät Barbara Agnese. Die gebürtige Italienerin setzte sich im Studium mit Wittgenstein auseinander. So wurde mit Anfang 20 ihre Liebe zur österreichischen Literatur und Sprache geweckt. Seit 2013 ist sie Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Montreal in Kanada.

Auf Bachmanns Spuren

Bereits zum dritten Mal ist die Bachmann-Expertin beruflich in Salzburg. Agnese wurde eingeladen, einen Band der Gesamtedition der Werke Ingeborg Bachmanns (Salzburger Bachmann Edition) herauszugeben. Nach ihrer Wiener Dissertation über Bachmann und einer jahrzehntelangen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der österreichischen Literatur und Philosophie freut sich Agnese, Werke österreichischer Autorinnen und Autoren mit ihren kanadischen Studierenden diskutieren und neue Perspektiven entwickeln zu können. 2016 brachte sie eine BMEIA-Ausstellung über Bachmann an die Uni Montreal. Heute steht der Briefwechsel Bachmanns mit drei anderen Dichterinnen im Fokus.

„Ich fühle mich in Salzburg, besonders im Literaturarchiv, sehr gut aufgehoben und geborgen. Ich kann wunderbar arbeiten“, erzählt Agnese, „mit den Hauptherausgeber*innen der Bachmann-Edition (Germanistik und Literaturarchiv der Universität Salzburg) und den Editionsexpertinnen im Archiv arbeite ich hervorragend zusammen“. Ihr Forschungsaufenthalt wurde verlängert. Ursprünglich wollte sie nur März und April hier verbringen, aber durch die Corona-Maßnahmen ist sie länger geblieben. „Ich habe die Ruhe sehr genossen und fand sehr viel Inspiration in der leeren Stadt und auf dem Mönchsberg und konnte sehr gut schreiben“, fasst Agnese die Wochen des Lockdowns zusammen.

Ihr Stipendium nutzte die Italienerin auch für einen Austausch mit anderen Einrichtungen, wie zum Beispiel dem Stefan Zweig Zentrum. So entstanden bereits Pläne für erste gemeinsame Projekte. Darüber hinaus kamen ihr in Salzburg neue Ideen für ihre Lehre an der Universität.

Briefe über Literatur und Leben

Die Forscherin ediert den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann mit den Dichterinnen Nelly Sachs, Marie Luise Kaschnitz und Hilde Domin. Die Briefe stammen aus der Zeit Mitte der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre. Ihre Recherche führt sie auch zu den Originalen nach Wien in das Literaturarchiv der Nationalbibliothek. „Wie eine Detektivin vergleiche ich Poststempel, Art und Farbe des Briefpapiers, um so die Briefe zeitlich einordnen zu können, da viele kein Datum tragen“, gibt sie Einblick in ihre Vorgehensweise, die einen feinen Spürsinn erfordert. „So finde ich neue Zusammenhänge; das sind die kleinen Freuden meiner Arbeit“, sagt sie.

Während in den Briefen mit Nelly Sachs und Hilde Domin eher der Austausch über die literarische Arbeit im Vordergrund steht, sind jene mit Marie Luise Kaschnitz durchaus persönlich und freundschaftlich. Alle drei Dichterinnen sind älter als Bachmann, so thematisieren die Briefe auch das Selbstverständnis zweier Generationen von Autorinnen.

Barbara Agnese und Ingeborg Bachmann verbindet ihr philosophischer Background. Durch die intensive Recherche eröffnen sich der Wissenschaftlerin noch mehr biographische Details, wenngleich Agnese in erster Linie am literarischen Schaffen und weniger an der Privatperson Bachmann interessiert ist. Auf die Frage, ob sie Bachmann gerne persönlich begegnet wäre schmunzelt sie und sagt, „Wir hätten uns sicher angeregt über Literatur und Philosophie unterhalten können!“.

 

Drei Fragen an Barbara Agnese

Sie kehren nächste Woche nach Kanada zurück. Welche Situation wird Sie dort erwarten?

In Montreal sind die Corona-Maßnahmen noch nicht so weit gelockert wie in Österreich. Auch in Kanada sind die Universitäten geschlossen. Die Fernlehre wurde bis Dezember verlängert. Ich hoffe aber inständig, dass die Präsenzlehre zurückkommt. Freilich eröffnet die Digitalisierung neue Chancen, doch eine Universität lebt vom gegenseitigen Austausch und einem Miteinander der Menschen.

Sie sind durch Ihre Sprachenkenntnisse und auch beruflich sehr stark in der europäischen Kultur verankert. Wie geht es Ihnen damit in Montreal?

In der Stadt Montreal gibt es vier Universitäten, zwei französischsprachige und zwei englischsprachige. Montreal ist eine sehr internationale Stadt, die Uni ist sehr offen und wir arbeiten viel mit anderen Disziplinen und Einrichtungen zusammen. Man bringt den europäischen Sprachen große Wertschätzung entgegen. So habe ich das Gefühl, Weltliteratur existiert wirklich. Ich lebe und arbeite in Nordamerika und für meine Arbeit werde ich immer wieder nach Europa zurückkehren müssen: was daraus entsteht, die Wechselbeziehung, finde ich sehr anregend und bereichernd.

Welches Buch von Bachmann sollte jede*r gelesen haben?

Ich empfehle allen den Erzählband Simultan zu lesen. Die Geschichten eröffnen so viele Möglichkeiten und jede*r findet sich darin. Besonders die letzte Erzählung Drei Wege zum See ist meines Erachtens eine der besten der Weltliteratur.

 

SIR Porträt Agnese

Barbara Agnese © Wissensstadt Salzburg/Kraxberger

Zur Person

Nach ihrem Studium in Pisa, zog es Barbara Agnese nach Wien. Dort blieb sie 18 Jahre lang, absolvierte das Doktorratsstudium und unterrichtete Komparatistik an der Universität. Nach einer Zwischenstation in Paris an der Sorbonne nouvelle ist sie nun in Kanada am Departement für Literatur und Sprachen. Obwohl sie sich dort sehr wohl fühlt, merkt sie doch, dass sie begeisterte Europäerin ist. In Montreal unterrichtet die Philosophin Vergleichende Literaturwissenschaft. Neben ihrer Tätigkeit an der Uni übersetzt Agnese auch ins Italienische. Ihr herausforderndstes Projekt war ein Roman von Elfriede Jelinek. Erholung und Ruhe findet sie in der Natur, die sie auch in Salzburg sehr schätzt. Das Österreichische inspiriert nicht nur ihren Kopf, sondern berührt auch ihr Herz.