Antike Emotionen und moderne Erkenntnisse

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Justine Diemke taucht regelmäßig in die Antike ein und weiß, wie es damals roch, was auf den Tellern landete und wie sich die Menschen gefühlt haben. Ihrer Auseinandersetzung mit Emotionen in der Antike ist es auch zu verdanken, dass sie Kontakte an den FB Altertumswissenschaften der Uni Salzburg knüpfte und so hier einen Monat als Scientist in Residence verbrachte. Ihre Doktorarbeit am Fachbereich Alte Geschichte der Universität Hamburg verfasst sie zum Thema Depressionen im Altertum. Mit verschiedenen kreativen Ansätzen gelingt es ihr ein Stück Antike in die heutige Welt zu bringen.

Justine Diemke ist Spezialistin für Emotionen in der Antike. Mit Gemütszuständen wie Einsamkeit, Stolz oder Zorn kennt sie sich bestens aus. So rezensiert sie auch regelmäßig Werke für Fachzeitschriften. Über eine Besprechung seines Buchs „Being Alone in Antiquity“ kam Justine Diemke in Kontakt mit Rafał Matuszewski von der Uni Salzburg. Im März 2023 ist die Hamburgerin zu Gast als Scientist in Residence und nutzt diese Gelegenheit, sich intensiver mit den Kolleg:innen in Salzburg auszutauschen. Die junge Forscherin arbeitet an ihrer Dissertation und wird damit die erste Monographie zum Thema Depression in der Antike verfassen.

Neue Wege für alte Quellen

Neben den traditionellen Forschungsfragen aus der Politik- und Militärgeschichte hat sich in den vergangenen zehn Jahren, ausgehend vom anglophonen Raum, die Emotionsforschung in den Altertumswissenschaften entwickelt. „Die Emotionsforschung eröffnet uns neue Wege, um alte Quellen zu sehen. Ausgangspunkt ist eine semantische Analyse von Emotionsbegriffen, also welche Ausdrücke gibt es und wie werden diese übersetzt“, erklärt Justine Diemke. So gab es für einen Gemütszustand mehrere Bezeichnungen, also auch mehrere Varianten von beispielsweise Zorn oder Frustration. Manche Begriffe dienten auch dazu, Menschen zu qualifizieren – und diese Zuschreibungen haben sich lange gehalten: Bereits in der Antike wurden Männer mit Stärke und Mut in Verbindung gebracht, während Frauen eher als schwach und eifersüchtig charakterisiert wurden.

Suche nach vielschichtigen Krankheitssymptomen

Ein Grundwissen zum Krankheitsbild Depression holt sich die Wissenschaftlerin aus Literatur der Psychologie, Medizin, Soziologie und Anthropologie. Darauf aufbauend legt sie einen Katalog an Symptomen an. „Ich analysiere antike Quellen wie Biographien, Geschichtsbücher, Briefe, Inschriften, literarische Werke und mehr. Ziel ist es, aus so vielen Quellen wie möglich zu schöpfen und möglichst viele Ausdrücke als auch Fremd- und Selbstzuschreibungen zu sammeln“, beschriebt Diemke ihr aufwändiges Vorgehen. Die Texte findet sie in Büchern oder auf Papyrus, aber auch in Online-Datenbanken mit praktischer Suchfunktion. „Die wenigsten haben geschrieben, dass sie an Depression leiden, aber es wird viel mit Metaphern gearbeitet. Da heißt es dann ‚das Gemüt verdunkelt sich‘. Dies macht aber die Suche nach Symptomen in den Quellen sehr schwer und komplex.“

Neben Vererbung zählten schon damals Verlust, Verbannung, Krieg, Gewalt und andere traumatisierende Ereignisse zu den Auslösern von Depressionen.

Antiker Alltag

Auch private Schriftstücke gewähren der Forscherin Einblicke in damalige Gefühlswelten. Auf Papyri sind Briefe zwischen Ehepaaren oder zwischen Kindern und Eltern erhalten. Da erzählen Kinder, die zum Studium nach Alexandria gingen, ihren Eltern von den Geldproblemen, dem schweren Studium, dem kleinen Zimmer im Studentenheim. „In den Briefen wird auch die Kontrolle der Eltern und der Leistungsdruck, unter dem die Studierenden leiden, deutlich. Eigentlich hat sich zu heute nicht viel verändert, oder?“, lacht Diemke.

In ihrer Tätigkeit als Lehrende steht auch die Auseinandersetzung mit Sinneseindrücken der Antike auf dem Lehrplan. Mit ihren Studierenden mischt Duftstoffe der Antike, kocht antike Rezepte nach oder näht eine Rüstung. „Die experimentelle Archäologie ist eine Möglichkeit, ein Stück Antike in unsere Welt zu bringen“, schwärmt Diemke.

 

Vier Fragen an Justine Diemke

Wie sind Sie auf das Thema Depression in der Antike gestoßen?

Nach einem Seminar zum Thema Emotionen in der Antike wusste ich sofort, dass ich zu diesem Thema promovieren will. Ich interessiere mich immer für Themen, die noch niemand vorher bearbeitet hat, denn ich will mit meiner Arbeit Forschungslücken füllen.

In einem Forschungsprojekt versuchten Sie auch antike Duftstoffe zu rekonstruieren. Wie hat es denn damals gerochen?

Wir wissen heute, dass Sitze im Theater parfümiert wurden, um den Gestank der Straße fernzuhalten. Auch Möbel, Textilien oder Haustiere wurden parfümiert. Es wurde viel mit Knoblauch gekocht und Tiere auf offener Straße geopfert. All das bestimmte die olfaktorische Landschaft. Duft war auch ein Distinktionsmerkmal der Gesellschaft. Parfüms waren Menschen mit höherem Sozialstatus vorbehalten. Wenn wir heute von der Antike reden, beschreiben wir häufig das Leben der damaligen Elite.

In meinen Seminaren greife ich gerne Nischenthemen auf, wie antike Duftstoffe, Emotionen, Essen und Trinken, antike Randgruppen und Gender Studies. Das fesselt auch die Studierenden. So entdecken sie, dass es viel mehr spannende Aspekte als nur Politikgeschichte gibt.

Wie haben Sie Ihren Aufenthalt in Salzburg verbracht?

Salzburg ist eine interessante Stadt mit einer eigenen Kulturgeschichte, in der auch viele große Namen aus der Literatur gelebt und gearbeitet haben. Die Stadt war für mich sehr inspirierend.

Welchen Autor können Sie empfehlen, um mehr über die Antike zu lernen?

Die Bücher von Plutarch schildern den antiken Alltag. Er schreibt über alltägliche Dinge wie Erziehung, Freundschaft, Emotionen. Plutarch hat auch eine Biographie über Cicero verfasst.

 

Porträt Justine DiemkeZur Person

Schon in der Schule hat sich Justine Diemke für die Antike interessiert. Nach einer Klassenreise nach Rom war es spätestens um sie geschehen. Die gebürtige Hamburgerin entschied sich für das Studium der Alten Geschichte an der Universität Hamburg und wählte Archäologie als Nebenfach. Latein und Altgriechisch beherrscht sie. Ihr Fachgebiet sind die Emotional Studies – eine verhältnismäßige junge Richtung innerhalb der Altertumswissenschaften. Nachdem sie sich in ihrer Masterarbeit mit den Tränen der Antike auseinandergesetzt hat, geht sie jetzt einem vermeintlich modernen Krankheitsbild nach: der Depression. Als Archäologin war sie bereits an Ausgrabungsstätten in Griechenland, Portugal oder in der Türkei im Einsatz. Dort konnte sie das Wissen der Uni praktisch anwenden. Wenn sie zwischen all den Scherben eine Münze oder einen Gegenstand entdeckte, empfand sie dies als wahren Glückstreffer. In Salzburg musste der Stefan Zweig Fan nicht lange graben. Sie ist hier auf viel Gastfreundschaft und Inspiration gestoßen.