„mon vieux“ – ein Freundschaftspanorama zwischen Zweig und Masereel
Ein Praktikum am Salzburger Literaturarchiv 2016 weckte bei Julia Rebecca Glunk das Interesse am global verstreuten Nachlass Stefan Zweigs. Damals neu angekaufte Briefe zwischen dem Schriftsteller und dem Künstler Frans Masereel machten sie neugierig auf diese Freundschaft. Als sie sich dazu entschied, diese Beziehung zum Thema ihrer Dissertation zu machen, begann für die Literaturwissenschaftlerin eine Forschungsreise, die sie in zehn Archive in sechs Ländern führte. Als Scientist in Residence arbeitet sie noch bis Ende Mai am Stefan Zweig Zentrum.
230 Briefe zwischen Frans Masereel und Stefan Zweig aus den Jahren 1917 bis 1941 hat Julia Glunk in den letzten Jahren zusammengetragen. „Ich habe versucht aus den Briefen ein Gespräch herzustellen und so die Freundschaft zwischen den beiden Künstlern zu rekonstruieren“, erklärt die Forscherin. Die Suche nach den Korrespondenzen führte sie unter anderem nach Paris (F), Saarbrücken und Marbach (D), Antwerpen (BEL), Winterthur (CH), Boston und Fredonia (USA) und als Zweig-Stipendiatin nach Salzburg.
25 Jahre künstlerische und persönliche Verbundenheit
Stefan Zweig lernte den um acht Jahre jüngeren belgischen Künstler Frans Masereel im November 1917 in Genf kennen und war begeistert von Masereels Linol- und Holschnitten. Zweig, der zu jener Zeit bereits ein bekannter Schriftsteller war, trat für seinen Freund ein und vermittelte ihn an deutschsprachige Verleger und verhalf ihm zu etlichen Illustrationsaufträgen von Literaturwerken. Diese künstlerische und geschäftliche Zusammenarbeit mündete in einer fast 25-jährigen Freundschaft.
„Obwohl auch Masereel Deutsch sprach, verfassten beide ihre Briefe auf Französisch. Dass ihr Verhältnis immer persönlicher wurde, zeigt sich auch in der saloppen Anrede ‚mon vieux‘ [Mein Alter]. Als Zweig schon in Brasilien lebte, engagierte er sich dafür, seinen Freund nach Südamerika zu holen. Er organisierte ein Visum für Kolumbien, aber Masereel und seine Frau blieben in Frankreich“, erklärt Glunk.
Archivarbeit als Schatzsuche
Während andere Literaturwissenschaftler*innen Bibliotheken besuchen und Bücher wälzen, stürzte sich Julia Glunk in die Archivarbeit. „Nur Sekundärliteratur zu verwenden war mir zu wenig. Ich wollte historisch arbeiten und dabei Dokumente in den Händen halten, die vorher noch nie jemand untersucht hat. Das ist für mich der Sinn der Sache. Dass meine Forschung so erfolgreich verlief, ist vor allem auch den vielen Einrichtungen und Sammler*innen zu verdanken, die mich unterstützt haben.“
Diese Archivfunde bilden das Fundament für Glunks Dissertation. Sie arbeitet an einer Edition und deutschen Übertragung der französischen Briefe, ihrer Kommentierung und kulturgeschichtlichen Interpretation. Dabei geht sie auch auf die Genfer Zeit von Masereel und Zweig und ihr gemeinsames Netzwerk, unter dem sich viele bekannte Namen finden, ein. Auch Zweigs Verhältnis zu Frankreich wird eine Rolle spielen.
Drei Fragen an Julia Rebecca Glunk
Wie haben Sie diese aufwendige Recherche begonnen?
Ich habe an den Institutionen begonnen, die die umfangreichsten Sammlungen besitzen, und mich dann weitergehangelt. Neben den Archiven und Bibliotheken habe ich auch Auktionshäuser, Wissenschaftler*innen und Privatsammler*innen kontaktiert, die mir weitergeholfen haben und ihre Dokumente mit mir teilten. Aber ich musste auch lernen zu akzeptieren, dass ich nie alles finden werde und es immer Leerstellen geben wird.
Die Recherche war sehr aufwendig, wofür ich auch von manchen Kolleg*innen skeptische Blicke bekommen habe. Es war aber umso spannender. Zweigs Nachlass ist über die ganze Welt verstreut. Die Überlieferungssituation für Masereels Hinterlassenschaft ist leider noch weit unübersichtlicher, da nach seinem Tod große Teile des Erbes auf nicht nachvollziehbarem Wege verkauft wurden.
Was ist das Besondere an den Briefen?
Der Briefverkehr ist unserer heutigen E-Mail-Korrespondenz, was Frequenz und Regelmäßigkeit betrifft, sehr ähnlich. Nachdem zu Beginn eher geschäftliche Themen dominierten – Zweig verhalf Masereel zu Kontakten zu Buchverlegern –, wurde der Austausch über die Jahre immer persönlicher und es entstand eine innige Freundschaft. Auch persönliche Erzählungen finden sich darin oder Empfehlungen an die Frau Gemahlin. Wenn ich bei meiner Recherche einen neuen Brief entdeckt habe, wusste ich oft schon, worüber sich die zwei austauschten. So konnte ich ein ganzes Freundschaftspanorama aufbauen, das sich über fast 25 Jahre spannt.
Beeindruckend ist auch, wie schnell die Post damals schon war und dass die Briefe trotz der widrigen Umstände – Flucht, Exil, Krieg – doch meistens ihren Empfänger fanden. Ich bin mir sicher, es gäbe noch viel mehr zu entdecken, aber die meisten Dokumente sind wohl verloren gegangen. Man muss sich vorstellen, dass Masereel 1941 zu Fuß aus Paris nach Südfrankreich vor den Nazis geflohen ist und alles zurücklassen musste. Auch sein Sommerhaus in Nordfrankreich wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Auch darum sind vermutlich viele Briefe von Zweig an Masereel nicht mehr auffindbar.
Wie nutzen Sie Ihre Zeit in Salzburg?
Ich arbeite viel im Stefan Zweig Zentrum, die umfangreiche Fachbibliothek dort ist überwältigend. Ich schaue sicher noch ins Literaturarchiv. Salzburg kenne ich ja bereits und fühle mich sehr wohl hier. Ohne die sonstigen Massen von Tourist*innen ist die Stadt sehr entspannt, obwohl mir die Kaffeehäuser schon sehr fehlen.
Zur Person
Vom Bodensee, wo Julia Rebecca Glunk aufgewachsen ist, hat es sie zum Studium der Germanistik und Romanistik (Französisch) nach Dresden verschlagen. Für das Masterstudium Neuere Deutsche Literatur, Kultur und Medien zog es sie wieder nach Süddeutschland an die Albert-Ludwigs-Universität nach Freiburg. Noch während des Studiums arbeitete sie für ein Jahr am digitalen Nachlasserschließungsprojekt Stefan Zweig digital am Literaturarchiv Salzburg mit, nach ihrem Abschluss 2018 für 1,5 Jahre an der digitalen Arthur Schnitzler-Gesamtausgabe in Cambridge. Aktuell schreibt sie an ihrer Dissertation und arbeitet nebenbei als Übersetzerin, Autorin und Programmiererin. Nach den langen Monaten ohne Reisen genießt sie den Aufenthalt in Salzburg besonders. Um sich an ihre – wie Glunk sagt – „tollkühne“ Voraussage halten zu können, im Juli mit der ersten Fassung ihrer Doktorarbeit fertig zu sein, ist sie mit einem Auto voller Bücher angereist. Auch zwei ihrer Pflanzen hat sie mitgenommen, um für eine gemütliche Arbeitsatmosphäre zu sorgen.