Arbeit unter der „Schmutztoleranzgrenze“
In ihrer Forschung bewegt sich Riikka Prattes zwischen den Themenfeldern Diversität, Migration und Männlichkeit. Sie untersucht Fürsorge-Arbeit und welche Rolle Männer darin einnehmen. Die vergangenen sechs Wochen verbrachte die Sozial- und Kulturanthropologin als Scientist in Residence in Salzburg, um hier neue Kontakte zu knüpfen und an neuen Forschungsprojekten zu arbeiten.
Eine Frau, die über Männlichkeit forscht, das sei durchaus nichts Ungewöhnliches, erzählt Riikka Prattes. Denn die Gender Studies sind per se nichts Weibliches. Wie in vielen Bereichen wird auch in der Forschung das Männliche häufig als Norm betrachtet. Männlichkeitsforschung ist Teil der Geschlechterforschung und fragt, wie Männlichkeit oder männliche Identitäten konstruiert werden. Dabei findet vor allem eine Auseinandersetzung mit männlichen Lebenswelten statt.
Gender Studies als vielseitiges Forschungsfeld
Männerforschung ist ein sehr diverses Forschungsfeld. Entstanden ist sie in den 1980er Jahren aus einem profeministischen Kontext heraus, als Männer an der Seite von Frauen für Gleichberechtigung, Emanzipation und gegen sexuelle Gewalt kämpften. Prattes stützt ihre Arbeit auf die Position der australischen Soziologin Raewyn Connell, die von verschiedenen Männlichkeiten ausgeht. Sie sieht bestimmte Verhaltensweisen als traditionell männlich dominant und vorherrschend an, was zu einem doppelten Unterdrückungsverhältnis unter Männern und gegenüber Frauen führt.
„Heute vertritt man einen sehr viel breiteren, interdisziplinären Ansatz, welcher mir mehr liegt. Bei den Gender Studies treffen sich u.a. Historiker:innen, Literaturwissenschaftler:innen und Sozialwissenschaftler:innen und arbeiten über ihre Fachgebiete hinweg miteinander“, weiß die Stipendiatin. Generell ist Prattes ein Fan des disziplinenübergreifenden Zusammenarbeitens: „Mit anderen aus verschiedenen Bereichen zu kooperieren macht mir große Freude und inspiriert mich. Dadurch entsteht immer ein spannender Prozess.“
Care-Arbeit als traditionell weibliche Tätigkeit
Für ihre Doktorarbeit setzte sich die gebürtige Steirerin mit globalen Versorgungsketten auseinander. Ein Thema, das sie auch heute noch beschäftigt. „Haus- und Care-Arbeit wird an weniger Privilegierte weitergegeben und zwar zwischen Frauen. Die Position von Männern wird nicht oder nur selten hinterfragt“, so die Forscherin.
Als Care-Arbeit wird grundsätzlich personenbezogenes Arbeiten verstanden. Riikka Prattes sieht den Begriff noch weiter und meint damit alles, was dem Wohlbefinden einer Person dient. Darunter fällt auch Erziehung, Bildung, Pflege, Dienstleistungen, Putzen, aber auch Umwelt und Nachhaltigkeit. Care-Arbeit wird traditionell von Frauen – häufig mit Migrationshintergrund – durchgeführt, passiert in vielen Fällen unbezahlt und zeichnet sich durch schlechte Arbeitsbedingungen aus. Der hohe Stellenwert dieser Tätigkeit wird dann offensichtlich, wenn – wie durch die Corona-bedingten Lockdowns – bewährte Strukturen wegfallen.
„Care-Arbeit ist eine feminisierte, rassifizierte Arbeit, daran hat sich durch die Pandemie nicht viel geändert. Das Klatschen hat die Arbeitsbedingungen nicht verbessert. Nach der Krise ist vieles wie vorher“, urteilt die Sozialforscherin und plädiert dafür, dass es neue Methoden und Werkzeuge braucht, um den Wert der Care-Arbeit zu messen.
Schmutz-Skills von Männern und Frauen
Die empirische Untersuchung für ihre Doktorarbeit an der Australian Catholic University machte Prattes in Österreich. Die Anthropologin befragte und begleitete heterosexuelle Paare und untersuchte so ihre Rollenverteilung im Haushalt. Die Paare stammen alle aus einem ähnlichen sozialen Milieu und verfügen über eine Haushaltshilfe. Mit ihnen führte sie individuelle sowie paarweise Interviews durch und beobachtete sie bei der Hausarbeit. Obwohl die Befragten aussagten, dass Arbeiten nicht qua Geschlecht aufgeteilt werden, so konnte Riikka Prattes doch feststellen, dass Frauen „zufällig“ mehr im Haushalt machten.
„Frauen sehen den Schmutz zuerst – das sagten einige der Befragten und begründeten damit auch das Wort Schmutztoleranzgrenze, Frauen haben also eine niedrigere Toleranzgrenze, was Dreck im Haushalt betrifft“, so Prattes. „Ich habe den Frauen und Männern bei der Hausarbeit auch über die Schulter blicken dürfen und habe hinterfragt, warum sie dieses oder jenes so machen. Ein Mann, der zwar das Brett wegräumte, die Brösel aber auf der Arbeitsfläche zurückließ meinte, dass er hinter sich nicht aufräume. ‚I don’t clean up after myself‘ wurde dann auch zum Titel einer meiner Publikationen“, berichtet die Wissenschaftlerin.
Hierarchisierte Fürsorge von Vätern und Arbeiter:innen
Das Thema Männerforschung und Care-Arbeit stellte die Forscherin auch bei ihrem Vortrag „Caring Masculinities and Race: On Racialized Workers and ‚New Fathers‘“ am 11. Oktober 2021 an der Universität Salzburg vor. „Wenn es um fürsorgende Männer geht, denken wir vor allem an weiße Männer der Mittelklasse. Wir haben den skandinavischen Vater vor Augen, der für seine Kinder in Karenz geht. Care-Arbeit geht aber darüber hinaus“, betont Prattes und erklärt, dass es auch eine Hierarchie in der Care-Arbeit gibt. Diese reicht vom Spielen mit den Kindern (das im Sinne der Quality Time oben auf der Beliebtheitsskala steht) bis hin zum Putzen (das an migrantische Arbeiter:innen ausgelagert wird). Care-Arbeit ist also von einer starken Arbeitsaufteilung und von Unterdrückungsmechanismen geprägt.
Für ihre Arbeit verbindet Prattes die Männlichkeitsforschung mit Ansätzen wie der Decolonial Theory. In den vergangenen Jahren wurden die Positionen der weißen, gut situierten Männern, die in Karenz gehen, untersucht; im Bereich der migrantischen Männern in der Care-Arbeit besteht hingegen noch großer Forschungsbedarf. Eine gesellschaftliche, rechtliche und finanzielle Aufwertung der Tätigkeit im Fürsorgebereich sieht die Expertin erst dann erreicht, wenn gut gebildete, weiße Männer dieser Tätigkeit nachgehen.
Drei Fragen an Riikka Prattes
Wie haben Sie Ihre Zeit in Salzburg als Gender-Studies-Stipendiatin verbracht?
Da ich mich beruflich wieder mehr nach Europa orientieren möchte, habe ich den Aufenthalt in Salzburg vor allem dafür genutzt, mich mit anderen Wissenschaftler:innen an der Universität Salzburg zu vernetzen und auszutauschen. So zum Beispiel mit Kyoko Shinozaki, Professorin an der Abteilung Soziologie und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt auf Sozialer Wandel und Mobilität am Fachbereich Soziologie oder der Universitätsprofessorin für Politik & Geschlecht, Diversität & Gleichheit an der Abteilung Politikwissenschaft, Zoe Lefkofridi.
Sie kommen direkt von der Duke University nach Salzburg. Wie kann man sich den Alltag an einer der renommiertesten Universitäten Amerikas vorstellen?
Die Universität ist ganz anders strukturiert als wir es hier kennen. Es handelt sich um eine Privatuniversität mit sehr hohen Studiengebühren, daher gibt es kleinere Klassen und es stehen viele Ressourcen zur Verfügung. Die Studierenden sind sehr international und kommen aus verschiedenen Backgrounds. Für viele ist das Studium nur durch ein Stipendium möglich. Nach meiner Zeit in Australien fiel mir der Start in den USA schon schwer. Aber ich lernte schnell die kurzen Distanzen der Kleinstadt zu schätzen. Das Leben in Australien war wunderschön, aber der Alltag in Sydney ist auch anstrengend, da der öffentliche Verkehr sehr schlecht organisiert ist und die Wege viel länger dauern. Durham [Sitz der Duke University] ist ursprünglich eine Arbeiterstadt und geprägt durch die Tabak- und Textilindustrie. Die Universität und die vielen Studierenden beeinflussen auch die Stadt. So wird das Leben im Stadtkern für viele Einheimische nicht mehr leistbar, was sich auch darin zeigt, dass das Zentrum in den Ferien quasi leer ist.
Woran haben Sie in Amerika gearbeitet?
In den USA habe ich ein Netzwerk mit aufgebaut: Revaluing Care in the Global Economy. Wir haben neue Mitglieder ins Netzwerk gebracht, Veranstaltungen organisiert und die Finanzierung gesichert. Es ist ein sehr internationales und interdisziplinäres Care-Projekt, wobei es darum geht, andere Arten zu finden, Care-Arbeit zu ermöglichen. Care wird dabei nicht nur als klassische Pflegearbeit aufgefasst, sondern wird größer gedacht und meint die gesamte Fürsorge, die es braucht, damit wir auf dieser Welt gut weiter leben können.
Zur Person
Seit fast zehn Jahren lebt Riikka Prattes nicht mehr in Österreich. Nach ihrem Studium der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, zog es sie für ihr Doktoratsstudium 2012 nach Australien. Nach sieben Jahren in Sydney, verbrachte sie die letzten zwei Jahre als Post-Doc in den USA an der Duke University in Durham im Bundesstaat North Carolina. Aufgewachsen ist Riikka Prattes in Bruck an der Mur, von wo es sie zum Studium in die große Stadt nach Wien zog. Heute genießt sie es, wieder mehr Zeit zuhause zu verbringen. Auch im Grünen sitzen und nichts tun gelingt ihr mittlerweile sehr gut.
„Ich bin jemand, der sich nur langsam aufwärmt, dann aber auch schwer wieder weggeht“, beschreibt sie sich selbst. Dennoch möchte die Wissenschaftlerin nach zwei Jahren an der amerikanischen Ostküste das Stipendium in Salzburg als Sprungbrett nutzen, um an einer Uni in Europa oder gar in Österreich Fuß zu fassen. An Europa schätzt sie nicht nur die Nähe zur Familie, sondern auch die sprachliche und kulturelle Vielfalt. Für eine Übersiedlung nach Österreich spricht außerdem die geringe Entfernung zu Italien, wo sie sehr gerne wieder öfters guten Kaffee genießen möchte.