Streitbare Geschichten für eine bessere Welt

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Zukunftsforschung

Der Zukunftsforscher Wenzel Mehnert ist als Scientist in Residence zu Gast in der Wissensstadt Salzburg und arbeitet an einer Zukunftsgeschichte der Stadt Salzburg. Dafür führt er mit unterschiedlichen Menschen Interviews und fragt sie, wie sie sich die kommenden Jahrzehnte vorstellen. Was hinter den Wünschen nach Arbeitsrobotern steckt und wie die Salzburger:innen das Morgen sehen, hat uns der in Wien lebende Berliner bei Croissant und Kaffee erzählt.

Zukunfts-Schreibwerkstatt nennt Wenzel Mehnert seine Methode, in der er sich an Robert Jungks Zukunftswerkstatt orientiert. Dabei kombiniert er Techniken, die das kreative Denken anregen, mit der Methodik Jungks und will so Wünsche und Hoffnungen von Menschen erfahren.

In Salzburg führt Mehnert Gespräche mit spannenden Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen. Sie äußern ihre Wünsche, teilen ihre Träume und liefern dem Wissenschaftler damit Stoff für seine Zukunftsgeschichte.

„Tatsächlich ist es hier das erst Mal, dass ich mich auf die Zukunft einer Stadt fokussiere“, erzählt Mehnert, „Die Herausforderung dabei ist, dass eine Stadt von vielen Menschen gemeinsam gestaltet wird und unterschiedliche Werte aufeinandertreffen.“

Storytelling als Zukunftsbarometer

„Die Visionen, nach denen ich suche, sind durchweg positiv. Zukunftsbilder beeinflussen unser Handeln in der Gegenwart. Da ist es wichtig, nicht nur negative Dystopien zu verbreiten, sondern auch wünschbare Zukünfte.“, sagt Mehnert. Die Zukunft lasse sich nicht an einer Jahreszahl festmachen, sondern bezeichne eine bessere Welt – unabhängig davon, ob es das Jahr 2050 oder 2100 ist. „Mich interessiert das, was man in der Gegenwart denkt, wie eine positive Zukunft in Salzburg aussehen wird.“

Es handelt sich dabei nicht um eine repräsentative Vision, vielmehr will der Experte heterogene Szenarien sammeln. Zusammen mit Autor:innen wird er nach seiner Residency die Ergebnisse seiner Interviews in Geschichten verpacken und auf einer Lesung präsentieren.

Noch bis Weihnachten sammelt Wenzel Mehnert Kapitel für seine Zukunftsgeschichte. Wer sich beteiligen will und seine Wünsche für die Stadt einbringen möchte, kann sich direkt an ihn wenden oder schaut bei einem der vier geplanten Workshops vorbei.

Menschliche Sehnsüchte und neue Technologien

In seiner Arbeit kombiniert Mehnert Wissenschaft und Kunst. „Ich benutze Geschichten, um über die Zukunft nachzudenken. Neben Fantasien, die von neuartigen Technologien handeln, nennen viele soziale Innovationen. Dabei sind diese beiden Varianten gar nicht so unterschiedlich. Hinter Wünschen, die in Verbindung mit Technologien stehen, verbergen sich häufig ganz triviale Sehnsüchte. „Hinter dem Traum, dass ein Roboter meine Arbeit erledigt, steckt meist das Bedürfnis nach mehr freier Zeit. Dieses Bedürfnis lässt sich auch anders erfüllen und muss nicht an Technologie gekoppelt sein, die ja dann meistens doch nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen“, stellt Mehnert fest.

Die Ergebnisse seiner Zukunftsgeschichten wird Wenzel Mehnert im März 2023 in der Robert-Jungk-Bibliothek vorstellen. Die Storys werden Aspekte aus dem Leben in der Stadt Salzburg behandeln, die zum Schmunzeln, Nachahmen und Diskutieren einladen.

 

Vier Fragen an Wenzel Mehnert

2021 waren Sie im Rahmen des Science meets Fiction-Festivals zu Gast in Salzburg. Wie hat Ihnen das Festival gefallen?

Ich kenne viele Science-Fiction-Festivals. Bei jenen in Berlin, Triest und Barcelona handelt es sich in erster Linie um Filmfestivals, die über wenige Tage ein dichtes Programm bieten. Zu den Besucher:innen zählen auch viele Tourist:innen, die extra deswegen kommen. Science meets Fiction ist da etwas Besonderes. Es geht über zwei Wochen, zeigt viel mehr als nur Filme und hat interessante Gäste aus der ganzen Welt. Es ist ein tolles Festival für die Salzburger:innen und macht es zu einem interessanten Angebot für die Stadt.

Als Scientist in Residence sind Sie nun fast zwei Monate in Salzburg. Was verfolgen Sie mit Ihrem Aufenthalt?

Zum einen möchte ich die Zeit nutzen, die Methode der Zukunfts-Schreibwerkstatt, die ich schon einige Male erprobt habe, zu dokumentieren und damit einen Beitrag zur Zukunftsforschung leisten. Zum anderen verfolge ich das Ziel, möglichst viele Interviews zu machen, damit ich im März spannende Kurzgeschichten präsentieren kann. In diesem Rahmen organisiere ich auch vier Workshops, die in der Vorweihnachtszeit stattfinden werden.

Kommen bei den Interviews mit den Salzburger:innen auch verrückte Science-Fiction-Visionen zum Vorschein?

Natürlich höre ich auch Storywelten, die so nicht plausibel sind. Das sind mir sogar die Liebsten. Denn hinter all den Fiktionen liegen reale Bedürfnisse der Menschen, die es zu erkennen gilt. Diese Vorstellungen zu diskutieren ist Teil der partizipativen Zukunftsforschung und wie es auch bei Jungk heißt, so braucht es Impulse, z.B. Geschichten, um über die gemeinsame Zukunft zu streiten und gemeinsame Wege zu finden.

Gibt es ein Buch über die Zukunft, das Sie uns empfehlen können?

Was mich sehr inspiriert hat ist Glashauseffekt von Alexander Sperling. Es ist ein deutscher Roman, der aus 40 Jahren zurück auf unsere Gegenwart schaut. Im wahrsten Sinne des Wortes klagt Sperling uns an, nicht genug gegen die Klimakatastrophe getan zu haben. Das spannende an dem Buch sind die verschiedenen Perspektiven auf das Thema, die der Autor gut zusammenträgt. Aber mehr will ich an der Stelle nicht verraten.

 

 

Wenzel Mehnert im Gespräch mit Stefan Wally (JBZ)

Wenzel Mehnert (li) im Gespräch mit Stefan Wally von der JBZ im Rahmen von Science meets Fiction 2021.

Zur Person

Als Zukunftsforscher am Austrian Institute of Technology in Wien entwickelt Wenzel Mehnert ethische Leitlinien für neue Technologien für die Europäische Kommission. Nach wie vor pendelt er zwischen Wien und Berlin, wo er das Berlin Ethics Lab an der Technischen Universität Berlin mitbegründet hat und dort immer noch tätig ist. Die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz und Robotik beschäftigen den Sci-Fi-Fan privat wie beruflich.

Mehnert hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin studiert. Bereits am Ende seines Masterstudiums interessierte er sich für Zukunftsforschung. Das Phänomen, das jede:r über Zukunft sprechen kann, aber eigentlich niemand weiß, was genau passieren wird, fasziniert ihn. Eine Antwort auf die Frage „Wie können wir Aussagen treffen über etwas, das es nicht gibt?“ zu finden, treibt seitdem seine Forschung an. Nicht die eigentliche Zukunft steht dabei im Vordergrund, sondern vielmehr die Vorstellungen der Menschen. Mit einem kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Blick sucht er darin nach kulturellen Muster. Auch im Stadtbild hält er Ausschau nach Zukunftsbegriffen und sammelt sie auf dem Instagram-Account Future is Everywhere. Gerade in Salzburg begegnet ihm die Zukunft überraschend oft – so zum Beispiel auf einer Litfaßsäule in Lehen an der Salzach.